27.06.2022 / Quelle: Mittelhessen.de / Artikel auf Mittelhessen.de lesen

Bau von 60 Wohnungen im Herborner Hinterthal auf Eis

In Herborn werden dutzende Wohnungen erst einmal nicht gebaut, weil die Mieten schier unbezahlbar wären. 900 Wohnungssuchende stehen auf der Warteliste der Baugenossenschaft.

Von Martin H. Heller / Redakteur Dillenburg

Gelbe Tonnen werden im Lahn-Dill-Kreis ausgeliefert, Foto: AWLD

Ein Jahr ist es her, dass das Areal am Hinterthal so aussah wie auf diesem Drohnenfoto. Weil sich Bebauungsplanänderung und Austausch belasteten Bodens in die Länge zogen und gleichzeitig Förderungen gestrichen wurden und Baukosten rasant stiegen, muss das Projekt erst einmal auf Eis gelegt werden.

Archivfoto: Siegfried Gerdau

HERBORN – Die Herborner Baugenossenschaft GBS baut nicht mehr – jedenfalls vorerst. Das Projekt, bei dem 60 Wohnungen auf dem ehemaligen Bedea-Grundstück im Hinterthal entstehen sollen, liegt auf Eis, weil das Bauen derzeit zu teuer ist.

Gleichzeitig stehen rund 900 Wohnungssuchende auf der Warteliste der Genossenschaft, denn das Wohnen ist bei Mieten von unter sechs Euro pro Quadratmeter fast unschlagbar günstig. Vor allem vor dem Hintergrund, dass in Herborn Wohnraum derzeit knapp und teuer ist.

Trotzdem hat die Genossenschaft das lange ersehnte Projekt auf unbestimmte Zeit zurückgestellt. Zu den jetzigen Baupreisen ließen sich Wohnungen zu bezahlbaren Mieten nicht neu bauen, sagt Geschäftsführer Mark-Thomas Kling. „2021 war es mit den Kosten noch so, dass man für unter zehn Euro hätte vermieten können. Heute müsste man pro Quadratmeter eine Miete von 16,40 Euro ohne Nebenkosten nehmen. Das ist nicht machbar“, sagt Kling. „Die Baukosten sind eine Katastrophe, ein echter Teufelskreis.“

Schon die Vorbereitungen für das Projekt waren eine „schwere Geburt“. Zwei Jahre lang – von 2019 bis 2021 – hatten sich Behörden und kommunale Gremien mit der Änderung des Bebauungsplans schwergetan. Unter anderem waren Einwendungen von Anliegern und die notwendige Beseitigung von belastetem Erdreich Ursache für den schleppenden Fortgang.

Teures Material, Inflation und Förderungsstopp

Mittlerweile ist der Abbruch erledigt und der Boden wird ausgetauscht. „Das lange Verfahren hat zu deutlich gestiegenen Baukosten geführt“, begründet Kling die Entscheidung, nun doch nicht zu bauen. Ausschlaggebend dafür waren mehrere Faktoren, darunter der plötzliche Förderstopp der Bundesregierung, die Inflation, die sich durch deutliche Verteuerung des Materials, steigenden Kapitalkosten und Lieferengpässe bemerkbar macht.

Positive Bilanz des jüngsten Wirtschaftsjahres

Im Vorfeld der ersten Präsenz-Mitgliederversammlung seit zwei Jahren, die am Dienstag, den 22. Juni, im Saal der Freien evangelischen Gemeinde in der Konrad-Adenauer-Straße 66 stattfindet, wertete Kling das abgelaufene Jahr dennoch als positiv. So konnte ein Jahresüberschuss in Höhe von 571 951 Euro erwirtschaftet werden. 57.200 Euro wurden vorab in die Ergebnisrücklagen eingestellt.

Ein Teil des Bilanzgewinns von 515.825 Euro soll zur Ausschüttung einer 2-prozentigen Dividende an die Mitglieder verwendet werden. Diesen Vorschlag werden Vorstand und Aufsichtsrat in der Mitgliederversammlung einbringen.

Gelbe Tonnen werden im Lahn-Dill-Kreis ausgeliefert, Foto: AWLD

So sah der erste Entwurf für die drei Gebäude mit jeweils 20 Wohnungen aus. Daraus wird jetzt vorerst nichts.

Grafik: Architekturbüro planquadrat

Die Bilanzsumme der GBS hat sich um 336.700 auf 46,89 Millionen Euro erhöht. Leicht gestiegen ist auch die Anzahl der Mitglieder. Anfang dieses Jahres hatte die GBS 1443 Mitglieder mit 10 041 Geschäftsanteilen und einem Geschäftsguthaben in Höhe von 3,13 Millionen Euro. Das gesamte Eigenkapital beträgt 16,15 Millionen Euro.

Wie die Geschäftsführung berichtet, war das abgelaufene Wirtschaftsjahr geprägt von der Modernisierung vieler Wohnungen, die bei Mieterwechseln erledigt wurden. Dafür gab die GBS rund 2,6 Millionen Euro aus.

Die Fluktuationsrate im Wohnungsbestand ist gegenüber dem Vorjahr gleichgeblieben. Sie liegt mit 7,3 Prozent im bundesweiten Durchschnitt. Weil die Fluktuation verhältnismäßig gering ist, dauert es derzeit auch recht lange, bis man eine GBS-Wohnung bekommen kann.

Mieten und Nebenkosten werden vermutlich steigen

Diejenigen, die bereits eine Wohnung bei der GBS haben, müssen sich wegen der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen darauf einstellen, dass Mieten und Vorauszahlungen für Nebenkosten angepasst werden müssen.

Die Durchschnittskaltmiete in der Genossenschaft liegt bei 5,60 Euro pro Quadratmeter und damit noch unter dem Wert für Genossenschaften im alten Bundesgebiet. Die Betriebskosten haben im Jahr 2021 einen Durchschnittswert von 2,86 Euro je Quadratmeter und sind somit 2,15 Prozent teurer als 2020.

In diesem Jahr wird sich die Genossenschaft auf den Umbau des Altenpflegeheims im Walkmühlenweg konzentrieren. Dort sollen eine Tagespflegeeinrichtung und Seniorenwohnungen entstehen.