06.09.2013 / Quelle: Herborner Tageblatt / Jörg Weirich

Wer stellt wann die Tonne raus?

Kling: „Für Mehrfamilienhäuser nicht durchdacht und nicht gerecht“

Am Montag soll der Kreistag in Wetzlar über eine Änderung der Müllgebühr entscheiden. Zentrale Neuerung: Die Müllabfuhr soll nicht mehr nach Haushalten und der Anzahl der dort gemeldeten Personen abgerechnet werden. Stattdessen soll für graue und braune Mülltonnen eine Grundgebühr eingeführt und zudem nach Anzahl der Leerungen abgerechnet werden. „Das ist für die Bewohner von Mehrfamilien­häusern nicht durchdacht – und vor allem nicht gerecht.“ Das sagt Mark-Thomas Kling.

Dreisprachig: Die GBS ist bereits um Mülltrennung bedacht und erklärt ihren Mietern mit Schildern wie diesem auf Deutsch, Türkisch und Russisch, wie das funktioniert. (Foto: Weirich)

Kling ist Geschäftsführer der Gemeinnützigen Bau- und Siedlungsgenossenschaft (GBS) in Herborn – und sieht eine ganze Menge Probleme auf sich zukommen, wenn die Änderung der Müllgebührenberechnung, wie sie bisher geplant ist, tatsächlich beschlossen wird. Die GBS hat derzeit 788 Wohnungen in ihrem Bestand. Diese befinden sich in 106 Häusern – und dabei handelt es sich ausschließlich um Mehrfamilienhäuser. Die Anzahl der Mietparteien darin reicht von vier in den kleinsten Gebäuden bis zu 36 in den zwei GBS-Hochhäusern am Schießberg.

Künftig bis zu 36 Mietparteien in einem Haus alle über einen Kamm scheren

Insgesamt hat die Genossenschaft vor ihren 106 Häusern für Restmüll (graue Tonne) 55 Container mit einem Fassungsvermögen von 1100 Litern, 150 große 240-Liter und 25 kleine 120-Liter-Tonnen, für Biomüll (braun) 140 große 240-Liter- und 20 kleine 120-Liter-Tonnen. Die Leerung all dieser Müllgefäße stellt der Kreis – beziehungsweise dessen Eigenbetrieb Abfallwirtschaft Lahn-Dill – künftig der GBS direkt in Rechnung. Bisher war das in Herborn anders geregelt, da dort die Stadt ihre Stadtwerke mit dem Müllgebühreneinzug beauftragt hatte. Jeder Haushalt erhielt direkt mit der Jahresrechnung für Wasser, Strom und Gas auch die Müllgebührenabrechnung.

Kritisieren, dass die geplante Müllgebühränderung in Bezug auf Mehrfamilienhäuser nicht durchdacht sei: Prokuristin Jessica Trensinger und Geschäftsführer Mark-Thomas Kling von der
Gemeinnützigen Bau- und Siedlungsgenossenschaft Herborn. (Foto: Weirich)

Künftig muss die GBS alle Müllgebührenrechnungen auf ihre Häuser beziehungsweise Grundstücke aufdröseln. „Das erfordert einen viel höheren Verwaltungsaufwand“, sagt Kling, „und den können wir auch nicht auf alle Mieter umlegen.“

Der größte Ärger, der der GBS mit der veränderten Gebührenberechnung droht, liegt allerdings in etwas anderem begründet: Die Bewohner von Mehrfamilienhäuser – also auch die der großen mit 12 oder gar 36 Mietparteien – müssen zwangsläufig alle über einen Kamm geschert werden.

Das Problem: Die Wohnungen und somit die Mietparteien sind alle unterschiedlich groß, da wohnen Alleinstehende sehr häufig neben Zwei-Personen-Haushalten und vielköpfigen Familien unter einem Dach. Ihren Müll entsorgen sie aber alle in dieselben Tonnen. Und sowohl berufstätige als auch ältere Singles – „bei uns sind die meisten über 65“, sagt Kling – produzierten im Vergleich zu den anderen Hausbewohnern weniger Müll. „Wie kann man da bei meinen Mietern gerecht abrechnen?“, fragt der Geschäftsführer. „Da kommt dann die Antwort: ,Ja, aber ich spar’ doch!’.“

Großvermieter: Die Gemeinnützige Bau- und Siedlungsgenossenschaft Herborn unterhält in der Stadt 788 Wohnungen. Diese befinden sich ausschließlich in Mehrfamilienhäusern wie diesen hier am Franzosenweg sowie in zwei Hochhäusern mit je 36 Parteien auf dem Schießberg – wie hier im Hintergrund das Haus Mozartstraße 11. (Foto: Weirich)

Diese Frage – und noch einige andere zum Thema (siehe Kasten) – hat die Redaktion auch Frank Dworaczek, dem Betriebsleiter der Abfallwirtschaft Lahn-Dill, gestellt. Seine schriftliche Antwort dazu lautet: „Bei der Gebührenveranlagung von Mehrfamilienhäusern mit Gemeinschaftsgefäßen greift die gewünschte Anreizwirkung der neuen Abfallgebühr tatsächlich nicht umfänglich, da bei der gemeinschaftlichen Nutzung von Abfallgefäßen die individuelle Einflussnahme auf die Gesamtabfallmenge naturgemäß geringer ist. Jedoch reduziert sich die Abfallmenge auch, wenn nur einige Mieter Abfall vermeiden bzw. besser trennen.“

Das nächste Problem – und das betrifft natürlich nicht nur die GBS, sondern alle Mieter, die in einem Haus mit mehreren anderen Mietparteien wohnen: Die Gebühr wird auch nach Anzahl der tatsächlich erfolgten Leerungen berechnet. Wer Geld sparen will, wird besser trennen und darauf achten, dass er weniger Müll produziert, damit die Tonnen nicht so oft geleert werden müssen.

„Wer soll denn in einem großen Mehrfamilienhaus entscheiden: ,Jetzt kommt die Tonne raus!’?“, fragt Jessica Trensinger, Prokuristin der Herborner Baugenossenschaft. Sie und auch Kling befürchten zudem eine weitere Auswirkung, wenn die Änderung wie geplant kommt: „Mülltourismus.“

„Wir haben ja in dieser Richtung bereits jetzt Ärger“, berichtet der Geschäftsführer. Schon vor Monaten hatte der Kreis alle Mülltonnen mit Transponder-Chips ausgerüstet, durch die eine klare Zuordnung der Tonnen zu den jeweiligen Grundstücken erfolgt. Und obwohl derzeit ja noch nicht nach Anzahl der Leerungen abgerechnet wird, „bekommen wir seitdem immer wieder Anrufe von unseren Mietern, dass da wieder ein Auto angehalten und jemand seinen Müll in unsere Tonnen geworfen hat“.

In einer seiner Antworten schreibt Dworaczek: “ … z.B. können sich durch die Anbringung eines Behälterschlosses Mietergruppen zusammenfinden.“ Mietergruppen in Häusern mit Bewohnern unterschiedlicher Nationalitäten hält Kling für „schwer vorstellbar“. Und zudem: „Sechs bis sieben Tonnen pro Haus einzuhausen, kostet im Schnitt 6000 Euro. Wenn man das jetzt mal auf unsere 106 Häuser hochrechnet – und über die vielen Schlüssel haben wir noch gar nicht geredet … “

Zwei Fragen – zwei Antworten

Zwei Fragen an Frank Dworaczek, Betriebsleiter des kreiseigenen Betriebs Abfallwirtschaft Lahn-Dill:

Ein Beispiel: Auf einem Grundstück stehen zwei Häuser, die sowohl gewerblich als auch für Wohnzwecke genutzt werden. Bekommt der Grundstücksbesitzer eine Rechnung für das ganze Anwesen oder zwei, sprich: für jedes Haus eine?
Frank Dworaczek: Stehen beide Häuser auf einem Grundstück, erhält der Grundstücks­eigentümer nur einen Gebührenbescheid für das Anwesen. Darauf sind die einzelnen Behälter aufgeführt, so dass er – wenn er möchte – eine interne Zuteilung für die Wohn-/Geschäftsbereiche vornehmen kann.

Gibt es eine Möglichkeit, unter die bisher geplante Mindestanzahl an Leerungen zu kommen (z.B. bei der braunen Tonne, wenn man in einer Innenstadt wohnt, wo wenig Biomüll anfällt, weil es keinen Garten zu dieser Wohnung gibt)?
Frank Dworaczek: Nein, diese Möglichkeit gibt es nicht. Allerdings werden wir bereits nach einem Jahr das System auf das tatsächliche Verhalten der Bürgerinnen und Bürger überprüfen und bei Bedarf entsprechende Anpassungen vornehmen.

Frank Dworaczek (Foto: Pöllmitz)